Die Goldene Mitte ist immer im Kreuzfeuer von beiden Seiten…
Nach dem Profil-Artikel letzte Woche wurde ich vom ORF für ein Interview eingeladen, eine fundierte Einschätzung zu Vitamin D zu geben. (ZIB 1 Magazin vom 31.01.2023)
https://tvthek.orf.at/profile/ZIB-Magazin/5521881/ZIB-Magazin/14166171
Aufgrund der Kürze des Beitrages wurde natürlich vieles herausgeschnitten, das wichtigste möchte ich hier zusammenfassen:
1) Die Vitamin D Mangel – Rachitis/Osteomalazie (massive Knochenveränderungen, „Knochenerweichung“, vielfache Frakturen) ist durch Vitamin D Gabe vermeidbar. Eine Rachitisprophylaxe ist einer der Meilensteine der Medizin. Die Dosierung von 400 IU Vitamin D täglich findet sich in allen wissenschaftlich fundierten Leitlinien. Auch wenn es keine offiziellen Zahlen zu diesen Erkrankungen gibt, sehen Allgemeinmediziner*Innen sowie osteologische, kinderärztliche und orthopädische Kolleg*Innen diese Krankheitsbilder durchaus regelmäßig („die Schraube hält nicht!), sodass von einer deutlich höheren Fallzahl im Vergleich zu den registrierten Überdosierungen ausgegangen werden kann.
2) Ein Vitamin D-Mangel ist ein Faktum und keine Hausnummer. (Es wird teils gefordert, diese Grenzen zu ändern, weil es so häufig ist)
Dies zu bestreiten, wäre so als ob man die BMI-Grenzen für Übergewicht verschieben wollte, nur weil mehr Menschen übergewichtig sind. Oder dass die Dioptrie – Grenzen für Kurzsichtigkeit verändert werden sollten…
Ein schwerer Vitamin D-Mangel ist definiert als
– 25(OH)D Blutspiegel unter 12 ng/ml oder 30nmol/l,
Ein Vitamin D-Mangel oder „suboptimaler Spiegel“ ist definiert als
25(OH)D Spiegel unter 20ng/ml oder 50nmol/l.
Deutsche/europäische Daten in der Allgemeinbevölkerung belegen eine hohe Prävalenz eines schweren Vitamin D Mangels in der Allgemeinbevölkerung zwischen 13 und 30%. Ein länger bestehender Vitamin D Mangel hat biologische Folgen in Form eines Anstiegs von Nebenschilddrüsenhormon (welches dann Kalzium aus dem Knochen herauslöst, um den Spiegel stabil zu halten) und – wie in einer großen deutschen Autopsiestudie gezeigt – unzureichender Mineralisierung des Skeletts bereits bei 25(OH)D Spiegeln unter 30ng/ml oder 75 nmol/l.
3) Eine Gabe von Vitamin D und Calcium kann bei älteren Menschen mit insuffizienten Vitamin D – Spiegeln das Sturz- und Frakturrisiko senken.
4) Eine Osteoporose-Behandlung erfordert zusätzlich eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D und Calcium und war auch Bestandteil aller entsprechenden Zulassungsstudien.
5) Vitamin D reduziert das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes bei Menschen mit der Vorstufe Prädiabetes um 10%.
6) Auch bei einigen anderen Erkrankungen könnte eine Vitamin D – Gabe positive Effekte bewirken (Infekte, kritische Erkrankungen, etc.). Es liegen hierzu interessante Daten vor, obwohl die Studienlage bisher nicht als abschließend oder eindeutig bezeichnet werden kann. Diese Effekte sind vermutlich klein und nur in Risikogruppen mit Vitamin D Mangel zu zeigen. Es sind daher weitere wissenschaftliche Untersuchungen in diesen Risikopopulationen nötig, um ein abschließendes Urteil fällen zu können. Auch ein kleiner Effekt wäre aber wichtig und sinnvoll aufgrund der niedrigen Kosten und hervorragenden Verträglichkeit von Vitamin D.
7) Viele der großen Vitamin D Studien der letzten Jahre schlossen hauptsächlich Menschen OHNE Vitamin D Mangel ein und mit niedrigem Risiko für den untersuchten Endpunkt ein.
8) Nicht erst seit der COVID-Pandemie ist es ratsam, für journalistische Anfragen fachspezifische ExpertInnen heranzuziehen, die sich seit längerem mit dem entsprechenden Thema auseinandersetzen und die Komplexität eines Themas wie Vitamin D in ihrer Gesamtheit erfassen können.
9) Vitamin D – Gabe für alle gesunden Menschen, egal welchen Alters, ist nicht nötig, wenn die empfohlene zugeführte Menge durch Ernährung und/oder UV-B von 400-800 IU tgl (je nach Alter) erreicht wird.
10) Für bestimmte Patientinnen und Patienten (Osteoporose und viele andere Erkrankungen) sowie bei Neugeborenen/Kleinkindern und andere Risikogruppen ist Vitamin D, zumindest im Winterhalbjahr – sinnvoll.
11) Bolusdosen funktionieren nicht und sind vielleicht sogar schädlich.
12) Vitamin D Überdosierungen sind bei längerer hochdosierter Einnahme möglich und können erhöhte Harn- und Blutkalziumwerte, Nierenprobleme und anderes verursachen. Die Giftzentrale Erfurt berichte über 162 Fälle von Vitamin D Überdosierung im Jahr 2022.
Literatur:
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